Jahresberichte

Rede zum Jahresbericht 2023

Meike Kamp am 22. Mai 2025 vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin zur Stellungnahme des Berliner Senats zum Jahresbericht 2023

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

ich freue mich über die Gelegenheit, anlässlich des Datenschutzjahresberichts 2023 heute vor Ihnen sprechen zu können. 2023 trat der Angemessenheitsbeschluss der EU-Kommission für das neue Data Privacy Framework, kurz DPF, in Kraft. Bei aller Kritik an diesem Abkommen handelt es sich um eine Maßnahme, die den Transfer personenbezogener Daten in die USA rechtssicher ermöglichen soll. Zuvor gab es schon mehrere Versuche; die Vorgängermodelle Safe-Harbor-Abkommen bzw. Privacy Shield hatten aber vor dem Europäischen Gerichtshof keinen Bestand. Ob die neue Vereinbarung des DPF auch unter der neuen US-Regierung Bestand haben wird, muss sich zeigen.

Ein Datenschutzkontrollmechanismus des transatlantischen Abkommens war das sog. Privacy and Civil Liberties Oversight Board. Dieses Gremium soll die eingeführten Verfahrensgarantien der US-Geheimdienste überwachen und damit auch für den Schutz der Grundrechte der EU-Bürger durch die US-Nachrichtendienste sorgen. Präsident Trump hat die Mehrzahl der Mitglieder des Boards im Januar entlassen, sodass das Gremium mit einem verbleibenden Mitglied nicht mehr funktionsfähig ist. Es zeichnet sich ab: Die Situation ist fragil, die Wirksamkeit des Abkommens steht unter Beobachtung. Wir werden uns dieser Entwicklung stellen und das Thema digitale Souveränität noch viel stärker in den Blick nehmen müssen.

Aus Datenschutzsicht setzt digitale Souveränität voraus, dass IT-Lösungen in der Lage sind, alle Datenschutzvorgaben effektiv, nachprüfbar und dauerhaft sicherstellen zu können. Um Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern und Produkten zu vermeiden, sind bei der Suche nach geeigneten Lösungen – insbesondere auch für die Verwaltungsmodernisierung in Berlin – Open-Source-Lösungen in den Blick zu nehmen. Diese versprechen ein hohes Maß an Transparenz und können selbst geprüft und gegebenenfalls auch angepasst werden. Ich lege Ihnen in diesem Zusammenhang auch das Eckpunktepapier der Datenschutzkonferenz ans Herz, das die aus unserer Sicht wichtigsten datenschutzrechtlichen Herausforderungen der Zukunft für die neue Bundesregierung adressiert.

Die neue Regierung hat bereits erste Pflöcke im Bund eingeschlagen, die mich und meine Behörde derzeit sehr beschäftigen. Es geht um die föderale Datenschutzaufsicht über die Wirtschaft. CDU/CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie im Interesse der Wirtschaft eine Bündelung der Datenschutzaufsicht bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz anstreben. Wer ist die Wirtschaft, in deren Interesse eine Bündelung beim Bund angestrebt wird, und was ist hier konkret gemeint? Ich habe in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern geführt. Ein einheitliches Interesse der Wirtschaft an einer Zentralisierung der Wirtschaftsaufsicht im Datenschutz beim Bund gibt es nicht.

Warum nicht? Weil große Teile der Wirtschaft von der lokalen Struktur der Aufsichtsbehörden profitieren. Die Datenschutzbehörden in den Ländern sind in der Lage, Datenverarbeitungsprozesse, die verschiedene Verantwortliche betreffen und unter Umständen auch zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen stattfinden, in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Sie verfügen über spezifische Branchenexpertise, passend zur föderalen Verteilung wichtiger Wirtschaftszweige in Deutschland, und sie gewährleisten kurze Wege für Unternehmen, bieten viele Veranstaltungen, Schulungen und Ansprechbarkeit vor Ort.

Meine Mitarbeitenden und ich kennen unsere ansässigen Unternehmen, die wirtschaftlichen Besonderheiten Berlins und haben über Jahre hinweg Beratungsnetzwerke aufgebaut. Dieser Standortvorteil einer Datenschutzaufsicht vor Ort steht auf dem Spiel. Hier brauche ich Ihre Unterstützung! Ich bin überzeugt, dass dem Land Berlin auch Gestaltungsmöglichkeiten in wichtigen Zukunftsfeldern wie Digitalisierung, Datenwirtschaft und Künstliche Intelligenz verloren gehen würden, wenn die gesamte Aufsichtsstruktur zum Bund verlagert wird. Der Vollzug von Gesetzen und die Aufsicht ermöglichen einen Wissenszufluss an Politik und Regierung, der Gestaltungsmöglichkeiten auf Landesebene befördern kann. Letztlich geht es auch generell um den Bestand von föderalen Aufsichtsstrukturen, die die Nachvollziehbarkeit für Bürgerinnen und Bürger und einen Machtausgleich zwischen Bund und Ländern sicherstellen angesichts der politischen Entwicklungen, die wir momentan weltweit sehen, sicherlich eine der großen Stärken dieser Staatsform.

Lassen Sie mich jetzt aber konkret auf den Jahresbericht 2023 eingehen. Das Thema Innere Sicherheit, das zurzeit auch viel Raum im öffentlichen Diskurs einnimmt, hat meine Behörde intensiv beschäftigt. So wurde 2023 der Einsatz von Bodycams ausgeweitet und die Nutzung auch innerhalb von Wohnungen und an anderen nichtöffentlichen Orten erlaubt. Auf unser Betreiben wurde ein Richtervorbehalt in das Gesetz aufgenommen. Immerhin geht es hier um Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung, Artikel 13 Grundgesetz. Kritisiert habe ich auch, dass die Maßnahme auf unbegrenzte Zeit eingeführt wurde, ohne die wissenschaftliche Evaluation abzuwarten. Die evidenzbasierte Gesetzgebung und die regelmäßige Überprüfung gesetzlicher Regelungen sind wesentliche Elemente rechtsstaatlicher Gesetzgebung, gerade im Sicherheitsbereich. Die Evaluation von Sicherheitsgesetzen ermöglicht bei eingriffsintensiven Maßnahmen, die Angemessenheit und Wirksamkeit von Überwachungsbefugnissen empirisch zu überprüfen und notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Dies zeigt auch der kürzlich vorgelegte Evaluationsbericht zum Einsatz von Bodycams der HU Berlin. Durch die systematische Analyse konnten differenzierte Erkenntnisse über Wirkung, Akzeptanz und rechtliche Problemfelder gewonnen werden. Die Befunde waren teils überraschend, etwa die Skepsis gegenüber Bodycams durch die Rettungskräfte der Feuerwehr, die dadurch Vertrauensverluste im Verhältnis zu ihren Patientinnen und Patienten befürchteten. Ohne die externe Evaluation wäre eine solche Erkenntnis gar nicht zutage getreten.

Mit großer Sorge beobachte ich, dass der Trend zur Abkehr von der evidenzbasierten Gesetzgebung sich aktuell fortsetzt. Erst vor wenigen Wochen wurde hier auf Vorschlag der Regierungsfraktionen eine weitere Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlins (ASOG Bln) beschlossen und wieder eine Befristung und Evaluationsklausel aufgehoben, diesmal für die Telekommunikationsüberwachung und Standortermittlung. Ich möchte Sie daher nochmals auffordern, Berichts- bzw. Evaluationspflichten bei künftigen Änderungen von Sicherheitsgesetzen wieder aufzunehmen. Diese dienen nicht nur der Nachbesserung bestehender Normen, sondern auch der Legitimation grundrechtsintensiver Eingriffe. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind sie eine Voraussetzung für die durch den Gesetzgeber zu gewährleistende Transparenz und demokratische Kontrolle. Die ausgewogene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist eine der Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats. Angesichts eingriffsintensiver Techniken wie der biometrischen Gesichtserkennung, Analyse von Verhaltensmustern und künstlicher Intelligenz muss diese Balance gewahrt und entsprechende Befugnisse der Sicherheitsbehörden müssen verfassungskonform realisiert werden. Ich appelliere daher eindringlich, Gesetzesentwürfe systematisch auf ihre Grundrechteverträglichkeit zu überprüfen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre zu berücksichtigen.

In einem Monat tagt hier in Berlin die Internationale Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten. Vielleicht kann dieses Datum ein Ansporn für Sie sein, die Ausgestaltung des Transparenzgesetzes in Angriff zu nehmen. 2027 übernimmt meine Behörde den Vorsitz in der Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland. Berlin war einst Vorreiter in diesem Bereich. 1999 hat es als zweites Bundesland ein Informationsfreiheitsgesetz eingeführt. Inzwischen haben viele Bundesländer Transparenzgesetze eingeführt, Berlin aber nicht. Wäre es nicht toll, wenn Berlin sich wieder an die Spitze setzen und bis 2027 ein Transparenzgesetz verabschieden würde? Bitte denken Sie darüber nach!

Dass das Informationsfreiheitsrecht von den Berlinerinnen und Berlinern geschätzt wird, zeigt auch mein Jahresbericht. Einen Vorgang möchte ich stellvertretend herausgreifen. Eine Antragstellerin begehrte Akteneinsicht in die Beschlüsse des Rats der Bürgermeister und der Senatskanzlei. Dies lehnte die Senatskanzlei jedoch unter Verweis auf die Vertraulichkeit von Senatsbeschlüssen ab. Nach mehrmaliger Aufforderung durch meine Behörde gewährte die Senatskanzlei Akteneinsicht. Dieser Fall erlaubt mir zu betonen, dass nicht Geschäftsordnungen über die Akteneinsicht entscheiden. Allein das IFG ist relevant, um zu prüfen, ob einer Akteneinsicht verwehrt werden darf. Entgegenstehende Vorschriften müssen angepasst werden. Ich begrüße daher sehr, dass der Senat in der Stellungnahme zum Jahresbericht 2023 angekündigt hat, eine entsprechende Klarstellung aufzunehmen.

Im Berichtszeitraum gab es unter anderem zwei eklatante Verstöße im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes, bei denen wir Bußgelder verhängt haben. In einem dieser Fälle sind wir gegen ein Unternehmen vorgegangen, das Praktikantinnen per Video durch eine Steckdose heimlich überwachte. Dieser Fall steht beispielhaft dafür, dass es nichts gibt, was es nicht gibt. Apropos Bußgeld: 2023 bestätigte der Europäische Gerichtshof unsere Auffassung, dass datenschutzrechtliche Bußgelder direkt gegen Unternehmen verhängt werden können, und zwar ohne dass dafür eine konkret handelnde natürliche Person als verantwortlich identifiziert werden muss. In der Sache muss das Landgericht nun noch entscheiden.

Abschließend möchte ich mich ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen in meiner Behörde bedanken, die sich mit überaus großem Engagement, viel Mut und Ausdauer für die Themen Datenschutz und Informationsfreiheit einsetzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.