Jahresberichte

Rede zum Jahresbericht 2020

Meike Kamp am 26. Januar 2023 vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin zur Stellungnahme des Berliner Senats zum Jahresbericht 2020

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, meine erste Rede als Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hier im Abgeordnetenhaus halten zu dürfen. Ich habe das große Glück, eine Behörde übernommen zu haben, die über hochqualifizierte Expert:innen verfügt, die ihre Arbeit mit viel Engagement verrichten. Ohne ihre Unterstützung wäre der Einstieg in meine Amtszeit um einiges schwieriger gewesen. Für ihren Einsatz, aber vor allem auch für die Freundlichkeit, mit der mich die Mitarbeiter:innen empfangen haben, möchte ich mich daher an dieser Stelle ganz herzlich bedanken!

Wir sprechen heute über den Jahresbericht meiner Behörde für das Jahr 2020. Auch wenn das schon eine Weile her ist, so wirken viele Themen aus dem Bericht meiner Vorgängerin, Maja Smoltczyk, fort.

Das Jahr 2020 war vor allem durch die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben, auf Bildung, Ausbildung und Arbeit geprägt. Meine Behörde hat sich mit zahlreichen datenschutzrechtlichen Aspekten des Lebens in Pandemiezeiten befasst, wie zum Beispiel Kontaktlisten in Restaurants und Cafés, dem digitalen Arbeiten im Homeoffice und in der Verwaltung. Auch Einschränkungen bei den Besuchszeiten hatten datenschutzrechtliche Konsequenzen: Monatelang konnten keine neuen Berlinpässe ausgestellt werden, so dass Berlinpassberechtigte bei Kontrollen in Bussen und Bahnen ihre Leistungsbescheide im Original vorzeigen mussten – äußerst sensitive Daten! Hier sind wir an die Senatsverwaltung herangetreten, um datenschutzfreundlichere Alternativen zu erörtern. Offenbar scheint das Problem allerdings weiterzubestehen, da sich die Beschwerden wieder häufen. Hier muss sich dringend etwas ändern. Gerne beraten wir hierzu erneut.

Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass aus Digitalisierungssicht vieles im Argen lag und nun schnell mit heißer Nadel gestrickt werden musste. Der Datenschutz blieb da manchmal auf der Strecke.

Vor allem in den Berliner Schulen wurden die jahrelangen Versäumnisse im Bereich der Digitalisierung schnell deutlich. Es gab kaum datenschutzrechtliche Regelungen, die dafür sorgten, dass Kinder und Jugendliche im digitalen Unterricht sorglos und unbeobachtet lernen konnten. Wir haben uns daher dafür eingesetzt, dass die aus dem Jahr 1994 stammenden und somit völlig veralteten Rechtsgrundlagen für den Einsatz digitaler Werkzeuge überarbeitet wurden. Während das neue Schulgesetz nun auch bereits in Kraft ist, warten wir immer noch darauf, dass die angepasste Schuldatenverordnung und die Digitale-Lehr- und Lernmittel-Verordnung wirksam werden. Auch haben wir die Berliner Bildungsverwaltung im Jahr 2020 intensiv zum „Lernraum Berlin“ beraten. Dabei konnten wir in einem konstruktiven Prozess viele datenschutzrechtliche Defizite identifizieren und notwendige Verbesserungen erzielen.

Natürlich war das ein mühsamer Weg! Gerade im Schulbereich wurde oft ein Gegensatz zwischen Praktikabilität und Datenschutz behauptet. Heute können wir aber mit Stolz sagen, dass Berlin im Bundesvergleich eines der modernsten Schulgesetze hat. Ein Grund dafür: Es muss nicht mehr jede Schule einzeln den Datenschutz bei digitalen Werkzeugen prüfen. Das übernimmt zentral die Bildungsverwaltung. Doch es bleibt weiterhin viel zu tun, wie die Debatte um die Beschaffung digitaler Endgeräte zeigt. Wir haben deutlich gemacht, dass die Anschaffung von Tablets der großen Hersteller:innen datenschutzrechtlich problematisch ist. Daher begrüßen wir, dass der Hauptausschuss gerade einen Beschluss gefasst hat, wonach auch Laptops angeschafft werden sollen – das ist zumindest ein guter Anfang in Richtung Unabhängigkeit von Betriebssystemen!

2020 war auch das Jahr der Videokonferenzsysteme. Uns war es wichtig, die Verantwortlichen in Berlin dabei zu unterstützen, im Dickicht der angebotenen Systeme eine sachgerechte und datenschutzfreundliche Auswahl zu treffen. Deshalb haben wir praxisnahe Hinweise zum datenschutzkonformen Einsatz entsprechender Produkte veröffentlicht. Einige Anbieter:innen haben daraufhin technische und rechtliche Mängel beseitigt. Das hat uns natürlich besonders gefreut.

Im Kern der ganzen Datenschutzdebatte um die Videokonferenzsysteme geht es doch darum, dass Verantwortliche Systeme einsetzen, die sie kontrollieren können. Das ist ein wesentliches Element der Datenschutzgrundverordnung. Kontrollieren heißt zunächst einmal Kenntnis davon zu haben, was mit personenbezogenen Daten geschieht und ob eigene Zwecke durch die Dienstanbieter:innen verfolgt werden. Wenn es schon an dieser Kenntnis fehlt, dann gibt es auch keine Kontrolle! Dies gilt für alle Verantwortlichen, aber doch insbesondere für die an die Gesetzmäßigkeit gebundene öffentliche Verwaltung. Wenn nun zu Beginn der Pandemie die Priorität darauf lag, Verwaltungstätigkeit aufrecht zu erhalten, dann ist das grundsätzlich nachvollziehbar. Inzwischen gibt es aber datenschutzkonforme Alternativen, die auch die Belastungsbedarfe abdecken. Wer dann weiterhin auf Systeme setzt, deren Datenverarbeitung intransparent und nicht kontrollierbar ist, der muss sich unseren Fragen stellen. Auch die aktuelle Debatte um die Verwendung von Microsoft 365 oder die Debatte zum Einsatz von Social Media durch öffentliche Stellen trifft genau diesen Kern!

Wie staatliche Stellen von Anfang an den Datenschutz mitdenken können, hat uns zum Beispiel die Corona-Warn-App gezeigt. Sie beweist, dass datenschutzfreundliche Lösungen schnell und effektiv entwickelt werden können, wenn alle an einem Strang ziehen. Die App ist damit ein Vorbild für andere digitale Projekte der öffentlichen Verwaltung.

Von großer Bedeutung war im Jahr 2020 das Schrems II-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Das Gericht erklärte damit die Rechtsgrundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA für ungültig. Wir haben das Urteil begrüßt und die Verantwortlichen in Berlin zu den Konsequenzen beraten. Derzeit verhandelt die Europäische Kommission mit den USA über einen neuen Angemessenheitsbeschluss.

Auch der Beginn der umfangreichen Beratungen zum Berliner Landeskrankenhausgesetz durch meine Behörde fällt in das Jahr 2020. Das Gesetz wurde im vergangenen Jahr erneut geändert und Krankenhäuser können nun im Ergebnis bei der Datenverarbeitung auch auf Dienstleister:innen zurückgreifen, die nicht selbst ein Krankenhaus sind oder als Unternehmen einem Krankenhauskonzern angehören. Allerdings darf die Verarbeitung lediglich durch Personen erfolgen, die einer dem deutschen Strafrecht entsprechenden Verschwiegenheitspflicht und einem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen. Damit wird dem besonderen gesetzlichen Schutz von Patient:innendaten Rechnung getragen.

Ein weiteres Thema im Jahr 2020 war die Speicherpraxis der Berliner Polizei und die missbräuchlichen Zugriffe auf die Polizeidatenbank POLIKS. Wir überprüfen bereits seit mehreren Jahren zum Beispiel Abfragen personenbezogener Daten in Polizeidatenbanken, die in einem Zusammenhang mit rechtsextremen Morddrohungen stehen könnten. Die beharrliche Weigerung der Polizei, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen, haben wir 2020 förmlich beanstandet. Leider kamen solche Vorfälle auch in den darauffolgenden Jahren vor. Sie sehen: Es gibt diese Fälle und sie wiederholen sich. Im Bereich der Polizei fehlen aber nach wie vor wirksame Durchsetzungsbefugnisse für meine Behörde, wie sie das europäische Recht vorsieht. Nachbesserungen sind von der Innenverwaltung nicht gewünscht, wie die Diskussion im Digitalisierungs- und Datenschutzausschuss kürzlich deutlich gemacht hat. Wir bleiben dran; gegebenenfalls wird der Europäische Gerichtshof im anhängigen Vertragsverletzungsverfahren dann die Richtung vorgeben.

Positiv zu erwähnen sind die Fortschritte beim Polizeigesetz, das auch die Einführung von Bodycams regelt. Wir haben den Gesetzgebungsprozess eng begleitet. Der Einsatz der Bodycams ist zunächst zeitlich befristet; der Probelauf soll wissenschaftlich evaluiert werden. Nun ist die Ausstattung mit Bodycams wieder ganz aktuell in der Diskussion. Ich empfehle, die angestoßene Evaluierung des Probelaufs auszuwerten und evidenzbasiert zu entscheiden.

Das Berliner Datenschutzgesetz wurde ebenfalls im Jahresbericht 2020 behandelt. Bereits damals haben wir darauf hingewiesen, dass verschiedene Regelungen des Gesetzes nicht den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung entsprechen. Gerade im Bereich der Datenschutzaufsicht sind erhebliche Mängel festzustellen. Meine Behörde verfügt weiterhin nicht über die nötigen Vollstreckungsbefugnisse bei Anhörungen gegenüber öffentlichen Stellen. Ich hoffe sehr, dass die notwendige Evaluation des Gesetzes und die Reform nun zügig angepackt werden. Auch Sie, sehr geehrte Parlamentarierinnen und Parlamentarier, sind im parlamentarischen Raum an den Datenschutz gebunden. Bisher gibt es in Ihrem Haus keine Instanz für den Datenschutz, wie sie in anderen Bundesländern bereits existiert.

Last but not least möchte ich, auf das im Koalitionsvertrag vereinbarte Transparenzgesetz zu sprechen kommen. Der in der letzten Legislaturperiode vorgelegte Gesetzentwurf blieb weit hinter unseren Erwartungen zurück. Vor allem die vorgesehenen umfassenden Bereichsausnahmen widersprachen den Anforderungen an ein modernes Transparenzgesetz. Nun ist wieder Bewegung in die Sache gekommen, bis heute aber leider kein Gesetz verabschiedet worden. Auch die Verwaltung kann das Transparenzgesetz gebrauchen. Eine Studie zum Hamburger Transparenzgesetz zum Beispiel zeigt, dass auf die proaktiv veröffentlichten Informationen insbesondere auch die Verwaltungen selbst für ihre Arbeit zugreifen, sozusagen „auf dem kurzen Dienstweg“. Der Ball liegt bei Ihnen.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, es bleibt noch viel zu tun, wenn wir die Informationsfreiheit voranbringen und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Stellenwert geben wollen, den ihm das Grundgesetz verleiht. Dass dies auch den Berlinerinnen und Berlinern am Herzen liegt, zeigt nicht zuletzt die hohe Zahl der Anfragen und Beschwerden, die uns erreichen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Menschen zu unterstützen. Helfen Sie uns dabei mit den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen und den nötigen Befugnissen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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